Das wahre Gesicht zeigen

Manchmal sagen die Worte eines anderen Menschen mehr über diese Person aus, als das, was sie meinen über die andere Person festgestellt zu haben. So ging es mir neulich, als Niklas mir erzählte, seine Ex-Frau hätte gesagt, ich hätte mein wahres Gesicht gezeigt, nachdem ich mir „sicher war, ihn zu haben“. 

In so vielen Filmen wird einem eingeredet, die Ehe sei schlimm, ein Gefängnis und Männer würden nach dem Ja-Wort ihr wahres Gesicht zeigen. Auch meine Mutter trötete ins selbe Horn und erzählte mir Schauermärchen, von sich in 180 Grad drehenden Persönlichkeiten, nach der standesamtlichen Unterschrift. 

Niklas und ich sind nicht verheiratet. Nachdem wir beide jeweils bereits eine Ehe versemmelt haben, lassen wir es ruhig angehen. Immerhin haben wir unsere Hörner bereits abgestoßen und müssen es nichts und niemandem mehr beweisen, wie tief unsere Beziehung ist und wie ernst wir es meinen – das wissen wir auch so. 

Bevor ich auf die Sicherheit zu sprechen komme, die in meine Richtung phantasiert wird, frage ich mich grundsätzlich: Kann sich irgendwer einer Beziehung sicher sein? Wie viele Paare haben jemals zusammengefunden und wie viele sind davon längst wieder getrennt? Und wer denkt, eine Familienbande kann nichts erschüttern, der läuft Gefahr sich die Finger zu verbrennen. Denn auch die selben Gene veranlassen niemanden zueinander zu stehen. Wer kann sich also jemals eines anderen Menschen sicher sein?

Aus meiner Sicht bestehen menschliche Beziehungen aus einem gegenseitigen Geben und Nehmen. Indem ich mich an ungeschriebene und geschriebene sozial-kulturelle Regeln halte, kann ich dafür sorgen, innerhalb einer Gruppe von Menschen zugehörig zu sein. Ich kann nicht „wilde Sau“ spielen und erwarten, dass mich jeder frohen Herzens empfängt. 

Niklas wollte in Erfahrung bringen, wie der erste Schultag im neuen Schuljahr seiner Töchter gelaufen sei. Und statt eine liebevolle Unterhaltung mit seinen Töchtern führen zu können, kam von eine seiner Töchter Vorwürfe über Vorwürfe, bis zu dem Moment, an dem sie einfach auflegte. Stunden später führte er ein Gespräch mit der Mutter der Kinder und bekam zu hören, dass sie bitterlich geweint hätte und ihr gesagt hätte, sie, als Mutter, hätte ihnen einen beschissenen Vater ausgesucht. Es dauerte natürlich auch nicht mehr lange bis auch ich als Allzwecksündenböckin genannt wurde, mit den Vorwürfen, dass ich mein wahres Gesicht gezeigt hätte, als ich mir seiner sicher war. Das soll zu dem Zeitpunkt gewesen sein, als Niklas und ich zusammen nach Hamburg in seine Wohnung gezogen sind. Dass ich jedoch schon vor ihm auch das Haus meiner Oma bezog und wir nach, wie vor dem Umzug 2 Rückzugsorte hatten, wurde in der gesamten Rechnung außer Acht gelassen. 

Ich indes fragte mich: Was sagt dieser Gedankengang eigentlich über SIE aus? Ich für meinen Teil kann sagen, dass ich mir bis heute nicht herausnehme zu sagen, ich sei mir Niklas` sicher, wenn das bedeuten würde, dass ich mir alles leisten kann und trotzdem davon ausgehe er stünde immer brav hinter mir. Wenn ich etwas aus der Beziehung zu meinem Ex-Mann gelernt habe, dann, dass ich mich nie-niemals darauf ausruhen sollte, dass er mir gestern gesagt hat, dass er mich liebt. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass er von jetzt auf gleich gehen würde, doch wie dumm wäre ich, wenn ich es mir vorsätzlich mit seinen Mädchen verscherzen würde, wo ich doch weiß, dass sie ein wichtiger Teil seines Lebens sind. 

Es stimmt, dass sich mit Umzug nach Hamburg einiges an meinem Verhalten geändert hat. Nachdem ich 2 Jahre lang wirklich maßgeblich dazu beigetragen habe, dass die Kinder bei ihm eine gute Zeit verbrachten, indem ich mit ihnen bastelte, backte, Inliner fuhr, nähte, häkelte, vorlas und auf diverse Klettergerüste geklettert war und im Nachhinein immer und immer wieder zu hören bekam, dass ich doch bitte zu gehen habe und hinter meinem Rücken als Bitch, blöde Kuh und anderes beschimpft wurde, war für mich der Ofen aus. Ich entschloss mein Verhalten zu ändern, auf den Wunsch der Kinder einzugehen und mich zurückzuziehen, frei nach dem Motto: Wenn ich schon beschuldigt werde scheiße zu sein, dann wenigstens, weil ich es verdient hatte. Von 2 Zimmer auf 4 Zimmer angewachsen, bot die Hamburger Wohnung die Möglichkeit des Ausweichens und Türen schließens. Ich zog mich also zurück, war doch stehts die Forderung der Mädchen, dass sie Papa ganz für sich haben wollen. Ja, nichts leichter als das, bei 4 Zimmer. Sie hatten ihn für sich, auch wenn ich anwesend war. Und schon bekam ich vorwürfe, die Beziehung hätte sich erkaltet. 

Wenn ich eins gelernt habe, dann, dass ich es einer verlassenen Ex-Frau NIEMALS recht machen kann. Ich versuche es auch nicht mehr. Es ist zwecklos. Das schlimme daran ist die Instrumentalisierung der Kinder. Die stehen zwischen Baum und Borke und müssen sich (un)bewusst bei zwei Streithähnen für eine Seite entscheiden. Da sie zu 90 % der Zeit bei der Mutter sind, ist klar, für welche Seite sie abstimmen würden, müssten sie es aufschreiben. Wenn ich meinem Kind erzähle, dass vor Papa noch ein anderer Mann gewesen sei, der auch ein guter Vater gewesen wäre, verwundert es dann, wenn das selbe Kind plötzlich weinend dasitzt und sagt, dass die Mutter ihr einen schlechten Vater ausgesucht hat? 

Ist es vielleicht SIE, die nach der Hochzeit mit Niklas nach zwei Jahren Beziehung anfing ihr wahres Gesicht zu zeigen, nachdem sie dachte ihn mit Trauschein, schwanger und neu gebautem Haus „sicher“ zu haben? Ich frage mich so oft, wo ich in die Gleichung passe? Ich merke immer und immer wieder, dass ich einfach eine sehr gute Projektionsfläche biete, für einen Konflikt, der eigentlich zwischen Niklas und seiner Ex-Frau aufgearbeitet werden sollte. Dann wären sowohl die Kinder als auch ich endlich aus der Schusslinie. Denn ich merke, dass all die Konflikte, die ich mit den Kindern habe, eigentlich Konflikte sind, die ich mit ihr zu haben scheine, weil ich der große Dorn bin. Ich bin da, wo sie sein wollte. Ich habe Zeit mit ihm, seine Aufmerksamkeit. Ich habe seine Zuneigung, unvergessliche Momente. Und sie ist nun allein im großen Haus. Allein mit der Gartenarbeit, allein mit dem Haushalt, allein mit der Kindererziehung, allein mit ihrem Bedürfnis nach Geborgenheit, Zärtlichkeit und Hilfe. Ich kann sie sehr gut verstehen in ihrer Wut, von der ich mir nur denken kann, dass sie sie hat, weil sie wie bei mir und vielen anderen auch zum Trauerprozess einer Trennung dazugehört. Nach 12 Jahren Beziehung darf man trauern, wütend sein und bedauern. 

Könnte ich die Zeit zurück drehen, würde ich versuchen weiterhin zu lächeln und den Kindern meine Zeit zu schenken mit Aktivitäten, die ich sowieso gern mit ihnen machen möchte. Ich würde gerne weiter lächeln und genauso schauspielern, wie es die Mädchen tun oder schauspielern sie garnicht, sondern mögen mich eigentlich doch, können das nur Mutti nicht sagen? Ich würde gern all das Gehörte wieder aus meinem Kopf löschen, um unbefangen weiterleben zu können. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. In dem Fall wäre das sehr hilfreich gewesen. Warum? Die Mädchen haben sich bei Mutti immer über Papa und mich beschwert, doch wenn sie bei uns waren, waren wir harmonisch, auch wenn der Wunsch, Papa für sich alleine zu haben da war und ich ihn verstehen konnte. Um so mehr riss es mir jedes Mal den Boden unter den Füßen weg, wenn 2 Tage nach der Übergabe zurück bei Mutti Nachrichten und sogar E-Mails von ihr kamen, wie traumatisiert die Kinder seien nach dem Wochenende. Offenbar lebe ich in einem Paralleluniversum. Ich bin eher traumatisiert, wie schlecht eine Trennung begleitet und unaufgearbeitet bleiben kann. 

Schwelende Konflikte

Seit über 4 Jahren bin ich nun mit Niklas zusammen. Ich liebe ihn noch immer mit loderndem Feuer und fühle mich bisweilen wie frisch verliebt am ersten Tag. Selbst die Themen mit seinen Kindern und seiner Ex-Frau halten mich nicht davon ab, das für ihn zu empfinden. Es gibt jedoch Tage, an denen diese Konflikte schwer wiegen und kleine dunkle Wolken um unsere siebte Wolke schweben lassen. 

Die Ironie dieser ganzen Konflikte ist die, dass sie nach wie vor nicht gelöst sind und erst heute wird mir das so richtig klar, auch wenn mich das nicht handlungsfähiger macht als zuvor. Nach einem Telefonat mit einer seiner Töchter, in dem es eskalierte, stellte sich in dem darauffolgenden Telefonat mit der Mutter der Kinder heraus, dass immer noch die Themen bei den Kindern aktuell sind, die schon teilweise 3 Jahre her sind. 

Wen wundert es?! 

Mich persönlich nicht, habe ich doch selbst den Eindruck immer noch in diesen Konflikten zu stecken und ich habe heute um so mehr verstanden, was uns in all unserem Zwist vereint: Wir sehnen uns nach einer Aussprache. 

Seit ich auf der Bildfläche im Leben der Kinder und der Ex-Frau existiere, kam es, wie in jeder menschlichen Verbindung zu Alltags- und Trennungskonflikten. Dass es für die Mädchen nicht supereinfach werden würde, mich an der Seite ihres Vaters zu akzeptieren war mir völlig klar und ich stellte mich darauf ein. Nichtsdestotrotz verstanden wir uns gut. Mit der Zeit wurden mir jedoch meist durch Niklas übermittelt Dinge gesagt, die mich mitnahmen – verletzten (Details werde ich wohldosiert mit der Zeit zu geschriebenem Wort verarbeiten). Auch ich habe eine emotionale Bindung zu den Kindern aufgebaut – habe Zeit, Gedanken und Emotionen in den Aufbau einer Beziehung zu den beiden investiert. 

Schließlich kam es zu etwas, das ich grundsätzlich begrüßte: Es wurde ein Familienrat einberufen. 

Der Haken an diesem Familienrat: Ich wurde aus der gesamten Rechnung ausgeklammert. Bereits vom ersten Tag an, wie ich erfuhr, dass Niklas zu einer Familiensitzung zitiert wurde und ich nicht, machte mir zu schaffen. Mir war sofort klar: Das kann nicht gut sein, wenn auch ich thematisiert werde, aber selbst garnicht zugegen bin. Welcher Konflikt wurde je auf diese Weise beigelegt?

Die erste Sitzung ist nun schätzungsweise 3 Jahre her und ich war bei keiner einzigen dabei. Das – für mich – perfide daran war, dass die 4 alles untereinander abgekaspert haben und danach in meiner Gegenwart heile Welt gespielt wurde. Ich jedoch steckte selbst noch in dem/den Konflikt/en. Für mich war absolut nichts geklärt, musste jedoch weiterhin lächeln und so tun, als wäre es für mich in Ordnung ausgeklammert zu werden. Ich bekomme nur durch Hörensagen von Niklas ein Resümee des Geschehenen. 

Nun sind wir über 4 Jahre zusammen und die ungelösten Konflikte, von denen ich dachte, dass nur ich sie nicht loslassen und in die ich mich leider immer wieder reinsteigern kann, würden nur mich betreffen. Jetzt merke ich, dass die – verzeiht an der Stelle meine bittere Ironie, und mir ist der Unterton den ich transportiere sehr wohl bewusste – „tolle Idee“ der Familienaussprache, die seine Ex-Frau hatte, nur halb so gut war, wie sie dachte. Denn weder den Kindern, noch Niklas, noch mir haben sie etwas gebracht – es ist eigentlich mit der Zeit nur schlimmer geworden. Wie hätte es auch anders sein können?! Mit Wut, Frust und Hilflosigkeit im Bauch, ist eben auch jede Begegnung am Ende ein Hürdenlauf. 

In dem Buch „Monopolygam“ von Georg Klaar ist vom „kleinen Ärger“ die Rede. Ich kann die Theorie um diesen kleinen Ärger als absolute Wahrheit unterschreiben. Zwist der nicht angesprochen und kein bisschen gelöst ist, führt dazu, dass sich das Fass immer mehr füllt und es am Ende schon bei absoluten Kleinigkeiten nicht nur überläuft, sondern sogar explodieren kann. Mir geht es jedenfalls so und bisweilen schäme ich mich auch dafür. Mein Fass mit den Kindern bzw. der Ex-Frau ist schon so überstrapaziert und gefühlte 8 Mal explodiert, dass ich richtig merke, wie Kleinigkeiten mich innerlich zur Weißglut bringen. Es reicht eine Geste und schon habe ich die Schnauze von den Kindern in meiner Gegenwart gestrichen voll. Und warum?! Weil die Konflikte ungelöst ganz tief in mir schlummern und mit passiver Aggressivität zumindest ein bisschen das Licht der Welt erblicken wollen.

Das sind die Momente, in denen ich mich schäme. Ich merke, wie eine Kleinigkeit ein willkommener Anlass zum Explodieren wird. Dann versuche ich mich zu zügeln. Ich fühle mich klein und kindisch. Ich merke, wie meine Selbstbeherrschung über mich lacht und mir zeigt, an welchen Stellen ich noch lernen kann mutiger Dinge einzufordern, von denen ich überzeugt bin. 

Ist der Zug schon abgefahren? 

Leider fühlt es sich für mich so an. Gleichzeitig fühle ich mich feige. Denke, dass ich selbst die Initiative ergreifen sollte, so eine Familiensitzung einzuberufen. Davor habe ich Angst – sehe ich doch, wie die Kinder ganz klar gegen Papa argumentieren und das mit einer Überzeugung, dass ich mich frage, woher sie diese Ansichten haben und so vehement vertreten.

Nach den ersten 2 Jahren vollen Einsatzes und Hingabe, die hinterm Rücken herabgewürdigt wurden, hatte ich mich dazu entschlossen den Kindern aus dem Weg zu gehen. Sie selbst forderten eindringlich jedes Mal, ich solle doch bitte nicht da sein, gleichzeitig wollten sie mit mir basteln und derlei Dinge. Nachdem ich mich ein Jahr lang zurückgezogen hatte, hieß es dann schließlich „Die Beziehung zwischen uns hätte sich erkaltet.“ Jahaaa, na sicher hat sie das. Wie sollte es auch anders sein?! Von mir wird Abwesenheit mit gleichzeitiger Anwesenheit verlangt. Auch wenn meine Leidenschaft für das Tanzen sehr groß ist, so habe ich es doch in all meiner Lebenszeit noch nicht gelernt auf zwei Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen. Diese Ambivalenz der Kinder und auch der Ex-Frau zeigt mir, dass dort sehr viele ungelöste Konflikte schwellen und aufseiten der Kinder noch eine gehörige Portion Loyalitätskonflikte als Sahnehäubchen oben drauf. 

Und mir blutet dabei die Seele, denn ich hänge an den Momenten, in denen scheinbar alles in Ordnung war. Oft vermisse ich die Mädchen und stelle mir vor, was wir alles zusammen machen könnten. Ich fühle mich gelähmt – macht- und hilflos an der jetzigen Situation etwas ändern zu können. Könnte ich die Zeit zurückdrehen, würde ich einiges anders machen. Das Leben kann ich leider nur rückwärts und nicht vorwärts verstehen, deshalb muss ich es so nehmen, wie es jetzt ist. Eine Zwickmühle. Wie ich aus der wieder heraus komme, weiß ich allerdings NOCH nicht. 

Stiefmutterdasein

Sehr früh wusste ich: Ich möchte keine eigenen Kinder. Das hat viele verschiedene Gründe, auf die ich zu einem anderen Zeitpunkt eingehen werde. Mir schwirrt seit Wochen eine innere Unruhe durch die Glieder, denn ich weiß nicht, wie ich die gegenwärtige Situation finden soll. 

Als ich gut und gern das Alter hatte, selbst Kinder zu bekommen lehnte ich es strickt ab und redete mir Kinder sogar als lästig ein. Nachdem meine erste Ehe kaputt ging und ich wieder von vorn begann, hatte sich meine Einstellung zu Kindern so weit verändert, dass ich deren Gegenwart sehr schätze und sogar genoss, jedoch immer mit dem Wissen im Hinterkopf, dass es nicht meine Kinder waren und sie zum Zeitpunkt x wieder zu ihren Eltern zurückkehren würden. Ich hatte nicht die blöden Aufgaben zu erledigen wie Diskussionen über Müll rausbringen, Tisch decken und wieder abräumen, Abwaschen, Saugen, Hausaufgaben machen. Ich hatte die coolen Momente: gemeinsames Backen, Basteln, auf den Spielplatz gehen, Häkeln. 

Ich begann also mir zu wünschen, dass mein zukünftiger Mann bereits Kinder hat, an denen ich partizipieren könnte. Und schließlich war es auch so, dass ich mich in meinen Nachbarn verliebte, der Zwillingsmädchen „mitbrachte“. Ich freute mich und die ersten 2 Jahre vergingen eigentlich sehr harmonisch, doch es schlichen sich immer wieder harte Vorwürfe, Beleidigungen und Beschimpfungen ein, sodass ich mich irgendwann fragte, wozu ich mich eigentlich so viel bemühte. Ich hinterfragte mein Engagement das ich mit Beschäftigungen wie Handarbeiten, Basteln und Backen miteinbrachte. Ich zog mich total zurück und das Verhältnis wurde schlechter und schlechter. 

Schließlich ist es nun so weit, dass ich die Mädchen dieses Jahr nur 2 Mal gesehen habe und mein Freund und Vater der Mädchen hat sie 7 Mal gesehen. Es ist November. Und es arbeitet und rattert in mir. Ich suche dauernd die Schuld bei mir, doch wie könnte ich alleinige Schuld an all dem haben?! 

Wenn ich an die Anfänge denke, dann vermisse ich unser Zusammenleben. Ich vermisse es, mir neue Projekte auszudenken die ich mit den Mädchen machen könnte. Ich vermisse die gemeinsamen Filmabende. 

Und gleichzeitig merke ich, dass es das entspannteste Jahr ist, dass Niklas und ich haben, seit wir zusammen sind und ich frage mich, ob es daran liegt, dass wir die Mädchen nicht hatten? Es gab so oft so viel Streit, wenn sie da waren. Und wenn es keinen gab, dann gab es ihn spätestens, wenn sie wieder bei der Mutter waren. Plötzlich kamen lange E-Mails von ihr, was alles so richtig scheiße gelaufen ist an dem gemeinsamen Wochenende – dabei fragten wir die Mädchen zum Abschied nach Feedback und alles war in Ordnung gewesen, bei der Mutter dann jedoch plötzlich nicht mehr. Nervenaufreibend. 

Mir wird klar, dass ich mich in eine Vorstellung verliebt habe. Der Vorstellung von einem harmonischen patchlove-Leben. Und das es so wie zu Beginn nie wieder werden wird – letztendlich war es damals Burgfrieden und schon damals wurden die Samen für den heutigen Zustand gesät. Mir wird klar, dass ich die Vorstellung liebe, den Kindern etwas „mitgeben“ zu können. Ich frage mich, ob es egozentrisch ist, zu glauben den Kindern „etwas mitgeben“ zu können. Habe ich überhaupt das Recht dazu? Ist es anmaßend? Gleichzeitig können auch Lehrer, Großeltern, Freunde und völlig fremde Menschen für andere Menschen bedeutende Dinge machen, die ein Leben lang im Gedächtnis bleiben – Warum sollte dann ich als Stiefmutter nicht auch eine prägende Rolle einnehmen? 

Mir schmerzt die Brust, wenn ich bedenke, dass Niklas, als Vater, so abgestoßen wird, wobei ich ihn als Vaterfigur so bewundernswert finde. In mir ist ein letzter Hoffnungsschimmer der glimmt, wenn ich mich an der Vorstellung festklammere, dass die Kinder den Weg zu ihrem Vater zurückfinden, sobald sie ihrer eigenen Wege gehen werden. Raus von zu Hause. Weg von der Familie und hinaus in die Welt zu neuen Freunden, die mit anderen Sichtweisen Mauern einreißen werden, die die Sicht auf Vergangenes klarer werden lassen. Und dann weiß ich, wird Niklas da sein, wenn sie kommen. Er wird für seine Mädchen da sein. Und ich bin mir sehr sicher, dass sie froh und dankbar sein werden, ihn als Vater zu haben. 

Küssen verboten

Küssen wurde und wird in meinem Leben sehr groß geschrieben. Schon in meiner Kindheit gaben wir uns innerhalb der Familie ständig Küsschen. Es gab ein Guten-Morgen-Küsschen, ein Abschiedsküssen, ein Hallo-bin-wieder-da-Küsschen, ein Gute-Nacht-Küsschen und Gratulationsküsschen. 

Als ich mit Niklas zusammenkam und er mir seine Kinder vorstellte, war ich sehr erstaunt und positiv überrascht, dass sie sehr ähnliche Rituale haben und mich auch integrierten. Sie wollte mir unbedingt zu den selben Anlässen auf den Mund ein Küsschen geben. 

Das Endete. 

Wann endete es?

Der Tag der Scheidung stand an. Niklas war sehr aufgeregt und rannte an dem Tag vor dem Termin mehrmals auf die Toilette. Sein Darm spielte verrückt und zeigte ihm auch auf körperlicher Ebene, dass das ein besonderer Anlass war. Der Termin verlief relativ reibungslos, wenn auch nicht ganz ohne Ärger und damit war es nun amtlich – Er und seine Ex-Frau waren nun ganz offiziell und rechtskräftig geschieden. 

Da ich vor ihm schon eine Ehe in den Sand gesetzt hatte und den Prozess durchlaufen hatte, sagte ich ihm, dass ich an dem Tag gerne etwas besonderes machen wollte. Auch ich habe mir damals gesagt, dass das nicht alles an dem Tag gewesen sein kann – ich wollte diesen Tag nicht nur mit dem Scheidungstermin verbinden, sondern etwas besonderes daraus machen und so ging ich mit meiner Mutter schön essen. 

Niklas und ich entschieden uns zu einer Radtour und einem Picnic im Freien. Das Radfahren hatte uns von Anfang an verbunden. Wir wollten auch an diesem Tag einen Ausflug ins Grüne unternehmen, zur Feier des Tages, dass nun ein neuer Abschnitt in seinem Leben beginnen konnte. Der kürzeste Weg zu unserem Ausflugsziel führte jedoch an dem Haus seiner Ex-Frau vorbei. Den hatten wir nun schon sehr lange umfahren und so langsam vermisste ich den Weg, den ich bereits fast täglich fuhr, bevor ich Niklas kennen lernte. Seit ich ihn kannte jedoch mied. Nach kurzem abwägen, war ich mir sicher, dass sie nicht zuhause sein würde und die Scheidung ihrerseits ebenfalls feiern würde, bzw. zumindest den Rest des Tages mit ihren Eltern verbringen würde…dem war jedoch nicht so. 

Anders als erwartet war sie tatsächlich im Garten und mähte den Rasen während wir hofften ungesehen am Grundstück vorbeifahren zu können. Die Argusaugen der Kinder entdeckten ihren Papa jedoch postwendend und so waren wir gezwungen anzuhalten. Die Kinder rannten geschwind zum Zaun und wollten Papa und auch mir einen Begrüßungskuss geben. Es wurden kurze und knappe 3 Worte gewechselt und dann verabschiedeten wir uns wieder per Kuss. 

Monate nach diesem Tag redeten Niklas und sie in einem Klärungsspaziergang miteinander und sie vertraute ihm an, dass es ihr sehr wehgetan hatte, dass wir nun ausgerechnet an dem Tag, der ihr sehr schwer fiel, vorbeigefahren wären. 

Mich persönlich wunderte ihre Verletzung, konnte sie doch froh sein, ihn lossein, wo sie sich die letzten 3 Jahres ihrer Ehe nur noch stritten und sie den Eindruck hatte mit allem allein dazustehen. 

Was ich jedoch bereits vor dem Gespräch wusste, war, dass es ihr ein Dorn im Auge war, dass die Kinder mich liebten. Und so kamen die Kinder beim nächsten Papawochenende nach dem Scheidungstermin an und teilten mir mit, dass Mutti ihnen gesagt hätte, dass sie mich nicht mehr auf den Mund küssen sollten. Tamara tat es jedoch recht schnell wieder und auch Gianna verlor die Scheu mit der Zeit – die Information die sie jedoch von ihrer Mutter mit dieser Aufforderung nach den Zaunküssen erhalten hatten blieb wohl im Hinterkopf erhalten. 

Ich für meinen Teil wusste, woher der Wind wehte. Wie weh muss es tun, wenn der frisch gescheidene Mann mit seiner 22-Jahre jüngeren Freundin an meinem Grundstück vorbei radelt, auch noch meine Kinder angerannt kommen und dieser dämlichen K** auf den Mund küssen und ich wie bedröppelt mit meinem Rasenmäher dastehe. 

Mir wäre es wohl genauso gegangen.

Wäre ich jedoch an ihrer Stelle gewesen, hätte ich am Tag meiner Scheidung, dem ich mit Schmerz entgegen gesehen habe und den ich unter Schmerzen überstanden habe nicht hingestellt und Rasen gemäht. Nein. Ich hätte mir meine Kinder und meine Eltern geschnappt und wäre ins Restaurant gegangen oder hätte etwas anderes für mich positiv unvergessliches unternommen. Denn diese Selbstfürsorge habe ich mir zuteil werden lassen an meinem Scheidungstag, der für mich mit ebensolchen Schmerzen gespickt war. Ich machte mich hübsch – schon zum Scheidungstermin – und ging danach mit meiner Mutter zusammen in mein Lieblingsrestaurant. Ich wäre im Leben nicht auf die Idee gekommen Haushaltsarbeiten an dem Tag zu erledigen! 

Selbstfürsorge ist meiner Meinung nach ein Thema, dass sich jede Frau viel stärker auf die Fahne schreiben sollte, allen voran Mütter und pflegende Frauen. Bereits im Flugzeug wird gesagt, dass die Sauerstoffmaske erst sich selbst und dann den Kindern aufgesetzt werden soll. Und darin liegt die Botschaft, dass Du erst für Dein eigenes Wohl sorgen solltest, denn andernfalls kannst Du Dich nicht mehr um Deine Kinder kümmern – im Falle von Sauerstoffmangel bedeutet das im schlimmsten Falle sogar, dass die eigenen Kinder mutterlos werden. Das ist natürlich wie so oft im Leben wesentlich einfacher gesagt als getan. Doch ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass es Wege gibt, sich auch als Mutter mehr Freiräume zu schaffen, als es viele Mütter derzeit tun. Ein großer Grund dafür sind zweifellos die gesellschaftlich geprägten Rollenbilder. Meine Hoffnung ist, dass es nächste Generationen hinbekommen, diese ins Wanken zu bringen und umdefinieren können, sodass auch Mütter mehr in die Selbstfürsorge kommen und damit entspanntere Mütter werden können, weil nicht mehr alle Verantwortung auf ihren Schultern ruht, sondern sie gleichmäßiger auf allen beteiligten Schultern verteilt wird. 

Gedanken die Luft brauchen

Lange habe ich hin und her überlegt. Darf ich das? Was könnten sie davon halten? Offenbare ich dadurch wie klein und unbeholfen ich sein kann?

Nach langem Grübeln und Zweifeln fühlte ich nur noch Ratlosigkeit und ich kam zu dem Schluss: Warum nicht?! Ich muss meinen ganzen Gedanken im Kopf Luft machen. In diesem Sommer habe ich zu dem vier weitere Lebensgeschichten gehört, die unseren sehr, sehr ähnlich sind und mir wurde klar, das was uns widerfährt, ist kein Einzelfall. Und weil das so ist, möchte ich darüber reden, schreiben um genau zu sein. Es kann sich nichts verändern, wenn niemand das ausspricht, was passiert. Jeder denkt, ‚das kann nicht wahr sein! Das glaubt mir keiner‘ und glaubt, ganz allein zu sein. Wenn niemand darüber redet wirkt es zwar so, in Wahrheit passieren genau die selben Geschichten jedoch auch in anderen Familien.

Diesen Blog möchte ich nicht nur dazu nutzen in Schieflage geratene Familien- und Beziehungsverhältnisse anzusprechen. Es soll auch Platz sein meine Gefühle auszudrücken. Ich ärgere, vermisse, zweifle und freue mich, kann es jedoch nicht mit den Menschen teilen, die die Emotionen auslösen. Ich hoffe, dass sie eines Tages mit Hilfe dieses Blogs Einblicke in meine Wahrnehmung der Dinge erhalten. Sie mag mit ihren kollidieren, doch dadurch, dass wir uns jetzt nicht darüber verständigen können, möchte ich jetzt endlich anfangen sie festzuhalten.

Die Situationen aus unserer Sicht zu beschreiben hätte ich schon viel, viel früher anfangen sollen niederzuschreiben. Doch da ich der Überzeugung bin, dass es noch sehr lange dauern wird, bis wir wirklich miteinander reden können, ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt anzufangen, denn wie heißt es so schön: Es ist nie zu spät das Richtige zu tun. Und genau jetzt fühlt es sich richtig an.

Ich widme diesen Blog also meinen Stiefkindern, die ich lieb habe und vermisse. Ich hoffe, dass sich meine Hoffnungen auf ein gutes Verhältnis wie zu Beginn unseres Kennenlernens wieder möglich ist, sobald ihr erwachsen und von zu Hause ausgezogen seid – gerne auch früher. Bis dahin, mache ich mir meinen Gedanken hier Luft.