Küssen verboten

Küssen wurde und wird in meinem Leben sehr groß geschrieben. Schon in meiner Kindheit gaben wir uns innerhalb der Familie ständig Küsschen. Es gab ein Guten-Morgen-Küsschen, ein Abschiedsküssen, ein Hallo-bin-wieder-da-Küsschen, ein Gute-Nacht-Küsschen und Gratulationsküsschen. 

Als ich mit Niklas zusammenkam und er mir seine Kinder vorstellte, war ich sehr erstaunt und positiv überrascht, dass sie sehr ähnliche Rituale haben und mich auch integrierten. Sie wollte mir unbedingt zu den selben Anlässen auf den Mund ein Küsschen geben. 

Das Endete. 

Wann endete es?

Der Tag der Scheidung stand an. Niklas war sehr aufgeregt und rannte an dem Tag vor dem Termin mehrmals auf die Toilette. Sein Darm spielte verrückt und zeigte ihm auch auf körperlicher Ebene, dass das ein besonderer Anlass war. Der Termin verlief relativ reibungslos, wenn auch nicht ganz ohne Ärger und damit war es nun amtlich – Er und seine Ex-Frau waren nun ganz offiziell und rechtskräftig geschieden. 

Da ich vor ihm schon eine Ehe in den Sand gesetzt hatte und den Prozess durchlaufen hatte, sagte ich ihm, dass ich an dem Tag gerne etwas besonderes machen wollte. Auch ich habe mir damals gesagt, dass das nicht alles an dem Tag gewesen sein kann – ich wollte diesen Tag nicht nur mit dem Scheidungstermin verbinden, sondern etwas besonderes daraus machen und so ging ich mit meiner Mutter schön essen. 

Niklas und ich entschieden uns zu einer Radtour und einem Picnic im Freien. Das Radfahren hatte uns von Anfang an verbunden. Wir wollten auch an diesem Tag einen Ausflug ins Grüne unternehmen, zur Feier des Tages, dass nun ein neuer Abschnitt in seinem Leben beginnen konnte. Der kürzeste Weg zu unserem Ausflugsziel führte jedoch an dem Haus seiner Ex-Frau vorbei. Den hatten wir nun schon sehr lange umfahren und so langsam vermisste ich den Weg, den ich bereits fast täglich fuhr, bevor ich Niklas kennen lernte. Seit ich ihn kannte jedoch mied. Nach kurzem abwägen, war ich mir sicher, dass sie nicht zuhause sein würde und die Scheidung ihrerseits ebenfalls feiern würde, bzw. zumindest den Rest des Tages mit ihren Eltern verbringen würde…dem war jedoch nicht so. 

Anders als erwartet war sie tatsächlich im Garten und mähte den Rasen während wir hofften ungesehen am Grundstück vorbeifahren zu können. Die Argusaugen der Kinder entdeckten ihren Papa jedoch postwendend und so waren wir gezwungen anzuhalten. Die Kinder rannten geschwind zum Zaun und wollten Papa und auch mir einen Begrüßungskuss geben. Es wurden kurze und knappe 3 Worte gewechselt und dann verabschiedeten wir uns wieder per Kuss. 

Monate nach diesem Tag redeten Niklas und sie in einem Klärungsspaziergang miteinander und sie vertraute ihm an, dass es ihr sehr wehgetan hatte, dass wir nun ausgerechnet an dem Tag, der ihr sehr schwer fiel, vorbeigefahren wären. 

Mich persönlich wunderte ihre Verletzung, konnte sie doch froh sein, ihn lossein, wo sie sich die letzten 3 Jahres ihrer Ehe nur noch stritten und sie den Eindruck hatte mit allem allein dazustehen. 

Was ich jedoch bereits vor dem Gespräch wusste, war, dass es ihr ein Dorn im Auge war, dass die Kinder mich liebten. Und so kamen die Kinder beim nächsten Papawochenende nach dem Scheidungstermin an und teilten mir mit, dass Mutti ihnen gesagt hätte, dass sie mich nicht mehr auf den Mund küssen sollten. Tamara tat es jedoch recht schnell wieder und auch Gianna verlor die Scheu mit der Zeit – die Information die sie jedoch von ihrer Mutter mit dieser Aufforderung nach den Zaunküssen erhalten hatten blieb wohl im Hinterkopf erhalten. 

Ich für meinen Teil wusste, woher der Wind wehte. Wie weh muss es tun, wenn der frisch gescheidene Mann mit seiner 22-Jahre jüngeren Freundin an meinem Grundstück vorbei radelt, auch noch meine Kinder angerannt kommen und dieser dämlichen K** auf den Mund küssen und ich wie bedröppelt mit meinem Rasenmäher dastehe. 

Mir wäre es wohl genauso gegangen.

Wäre ich jedoch an ihrer Stelle gewesen, hätte ich am Tag meiner Scheidung, dem ich mit Schmerz entgegen gesehen habe und den ich unter Schmerzen überstanden habe nicht hingestellt und Rasen gemäht. Nein. Ich hätte mir meine Kinder und meine Eltern geschnappt und wäre ins Restaurant gegangen oder hätte etwas anderes für mich positiv unvergessliches unternommen. Denn diese Selbstfürsorge habe ich mir zuteil werden lassen an meinem Scheidungstag, der für mich mit ebensolchen Schmerzen gespickt war. Ich machte mich hübsch – schon zum Scheidungstermin – und ging danach mit meiner Mutter zusammen in mein Lieblingsrestaurant. Ich wäre im Leben nicht auf die Idee gekommen Haushaltsarbeiten an dem Tag zu erledigen! 

Selbstfürsorge ist meiner Meinung nach ein Thema, dass sich jede Frau viel stärker auf die Fahne schreiben sollte, allen voran Mütter und pflegende Frauen. Bereits im Flugzeug wird gesagt, dass die Sauerstoffmaske erst sich selbst und dann den Kindern aufgesetzt werden soll. Und darin liegt die Botschaft, dass Du erst für Dein eigenes Wohl sorgen solltest, denn andernfalls kannst Du Dich nicht mehr um Deine Kinder kümmern – im Falle von Sauerstoffmangel bedeutet das im schlimmsten Falle sogar, dass die eigenen Kinder mutterlos werden. Das ist natürlich wie so oft im Leben wesentlich einfacher gesagt als getan. Doch ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass es Wege gibt, sich auch als Mutter mehr Freiräume zu schaffen, als es viele Mütter derzeit tun. Ein großer Grund dafür sind zweifellos die gesellschaftlich geprägten Rollenbilder. Meine Hoffnung ist, dass es nächste Generationen hinbekommen, diese ins Wanken zu bringen und umdefinieren können, sodass auch Mütter mehr in die Selbstfürsorge kommen und damit entspanntere Mütter werden können, weil nicht mehr alle Verantwortung auf ihren Schultern ruht, sondern sie gleichmäßiger auf allen beteiligten Schultern verteilt wird. 

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