„Mutti hat gesagt, dass Du Papas Tochter sein könntest.“
Ich merke, wie es in mir zu Arbeiten beginnt… Sicher könnte ich es sein. Das ist ja ganz klar bei einem Altersunterschied von 22 Jahren. Natürlich kommt dann die verlassene Ex-Frau auf die Idee, mich auf diese Weise ganz unterschwellig vor den Kindern schlecht zu machen, ohne, dass die Kinder es merken. „Mama hat ja nur gesagt, dass Du die Tochter sein könntest.“ Vermeintlich ganz harmloser Satz. Aber ist er denn wirklich so harmlos? Impliziert er im Subtext nicht eigentlich etwas ganz anderes? Aber das können die Kinder mit 9 und 7 Jahren garnicht verstehen, denke ich so bei mir – nichtsdestotrotz steigert sich meine Wut über diese beiläufige Aussage ins Unermessliche.
Die Ironie daran ist, dass ich mich immer und immer wieder total gut in die Mutter der Kinder und Ex-Frau meines Freundes hineinversetzen kann. Auch ich wurde verlassen „für eine jüngere“. Nicht dass das bei mir eine große Rolle gespielt hätte…es waren damals nur 5 Jahre, aber schon das hat auch mich damals getriggert.
22 Jahre sind dann doch eine andere Hausnummer. Ich habe damals mit meinem Ex-Mann keine Kinder bekommen und kein Haus gebaut. Wir hatten nicht mal ein gemeinsames Konto, das wir genutzt haben. Bei uns ging es um nichts. Wir waren nur zwei sehr junge Menschen. Alexander, mein Ex-Mann, ist von unserem Bett, direkt in das Bett seiner Geliebten gehüpft. So ist das zwischen Niklas und mir nicht gewesen. Ich habe diese Ehe nicht zerstört, das haben die zwei ganz alleine hinbekommen, dazu brauchten sie mich nicht.
Nachdem Niklas gegangen war, zog er in die Nähe seiner verlassenen Frau, um ihr unter die Arme greifen zu können, falls sie Hilfe mit den Kindern bräuchte. Und genau dort bin auch ich hingezogen. Es war ein Gebiet, das neu hochgezogen wurde. Sehr schöne moderne Architektur. Jede Wohnung hatte einen Balkon. Und von dort aus, konnte ich ihn auch sehen. Und ich sah ihn auch. Quasi vom ersten Tag an fiel er mir ins Auge. Ich ihm allerdings nicht. Meistens sah ich ihn allein, weshalb ich schlussfolgerte, dass er Single war. Manchmal nahm ich seine Mädchen wahr – ich hörte ihre Streits bis zu meinem Balkon auf der anderen Seite des Weges. Ich wusste also auch, dass er Kinder hat.
Als ich ihm beim Einkaufen begegnete und ihm „Hallo!“ sagen wollte, merkte ich, dass er mich garnicht sah. Ich fiel ihm nicht auf, also unterließ ich weitere Begrüßungsversuche. Ein oder zwei Mal, sah ich auch eine Frau bei ihm. Wer jedoch ein guter Beobachter oder eine gute Beobachterin war, hätte auch hin und wieder einen Mann in meiner Wohnung sehen können und trotzdem war ich Single.
Ein Jahr lang ging das so, dass ich ihn sah und hörte, er mich aber nicht. Ich kannte schon ganz genau das Tuten seines Fahrrads, wenn er es auf seinen Balkon stellte und die Alarmanlage aktivierte. Ich erkannte seine Schritte die zu mir hochhalten. Und dann kam Corona. Er hatte seine Mädchen von früh bis spät. Und endlich konnte ich mehr von ihm sehen, weil er nun viel mehr zuhause war. Meine Neugierde auf ihn wurde immer größer und größer und schließlich kam es zu zwei Blickkontakten, durch die ich merkte, dass er mich nun wahrnehmen würde. Ich schmiss ihm einen Zettel in den Briefkasten und fragte nach einem Treffen und wir kamen zusammen.
Fakt ist, sie waren bereits über ein Jahr getrennt, als wir zusammenkamen. Fakt ist auch, dass sie mich kein bisschen kennt. Woher kommt also diese Abwertung?
Wie sich bei unserem Kennenlernen herausstellte, hatte Niklas vor mir und nach der Mutter seiner Kinder bereits eine Beziehung. Er ging direkt nach der Trennung auf Datingapps und landete sofort einen Treffer. Nun so doll kann der Treffer nicht gewesen sein, da sie nur knapp ein Jahr liiert waren und er mit einigen Verletzungen aus der Beziehung kam, weswegen er die Entscheidung traf, ersteinmal abstinent zu bleiben – bis ich schließlich kam und ihm einen Zettel in den Briefkasten schmiss.
Da ich keine Psychologin bin, kann ich nur auf meine eigene Lebenserfahrung zurückgreifen. Auch wenn meine Konstellation damals eine ganz andere war, als die, durch die ihre Ehe zu Ende ging, so kann ich mir diese herablassende Bemerkung so erklären:
Ich habe damals sehr ähnlich Dinge gesagt und gedacht. Warum tat ich das? Ich war verletzt. Ich trauerte der Beziehung hinterher, auch wenn ich sie eigentlich selbst beenden wollte. Ich wollte mein Selbstwertgefühl aufrecht erhalten. Es ist ungeheuer verletzten, wenn Dir jemand sagt, dass er nicht mehr mit Dir zusammen sein möchte. In meinem Falle war es noch einfach. In deren Fall war gemeinsam schon vieles aufgebaut und über ein Jahrzehnt Geschichte geschrieben worden. Das verbindet. So hätte ich jedenfalls gedacht. Wenn sich Dein Mann dann jedoch hinstellt und sagt, dass er geht – Schock. Ich wäre in einen Abgrund gefallen. Kein Kneifen hätte mich kurzerhand wieder zurück in die Realität bringen können. Es erfordert einiges an Mut sich diesem hinterlassenem Schwerbenhaufen zuzuwenden. Ich glaube jeder hat insgeheim eine Vorstellung davon, wie das eigene Leben aussehen soll. Und eine Trennung war ganz sicher nicht in ihrem Gedankengut. Das war es auch nicht in meinem. Auch wenn ich viel über eine Trennung nachdachte und auch sprach, so wäre ich diesen Schritt nicht gegangen. Ich habe, genauso wie seine Ex-Frau, Eltern, die bis heute zusammenleben. Die Vorstellung, man selbst würde in Scheidung leben war unvorstellbar. Ich fühlte mich damals auch wie eine Versagerin. Ich hatte es nicht geschafft, meinen Mann „zu halten“. Quatsch mit Soße, wenn Du mich heute fragen würdest – so fühlte ich jedoch damals.
Ich habe Verständnis für Sie. Auch wenn ich nicht weiß, wie sie sich in Wahrheit gefühlt hat, so bringe ich einfach aus meinen Erfahrungen heraus Verständnis mit. Denn auch wenn ich nicht der Grund für die Trennung war, so weiß ich nicht, wie ich es gefunden hätte, wenn meine Kinder nun Umgang mit seiner neuen Partnerin pflegen. Ich kenne diesen Menschen nicht. Aber viel schlimmer als das, wäre es für mich, wenn ich noch nicht geheilt mit meinen Wunden hören muss, wie die Kinder davon erzählen, wie cool sie ist. Würde ich das hören wollen?! Nein. Ein ganz klares, deutliches, unmissverständliches NEIN!!!
Ich kann es verstehen, dass eine Seifenblase geplatzt ist. Niemand sitzt als kleines Mädchen oder Junge da und sagt sich: Also wenn ich mal groß bin, möchte ich mich Scheiden lassen! Das Leben ist kein Ponyhof und so prasseln am laufenden Band Dinge auf uns ein, die wir so, ganz gewiss nicht bestellt haben. Und doch, wäre es doch in solchen Momenten nicht klüger das Beste daraus zu machen?
In meiner Wunschvorstellung, auf dem Ponyhof, haben wir uns alle lieb. Wir reden wertschätzend voneinander und respektieren einander. In meiner Wunschvorstellung werde ich zum Geburtstag eingeladen und wir sitzen alle an einem großen Tisch, schauen uns fröhlich und freundlich in die Augen und unterhalten uns über die Kinder.
Meine Wunschvorstellung ist genauso geplatzt. Die zarte Seifenblase voller Hirngespinste hat PENG gemacht und ist in einzelnen Wassertröpfchen auf den harten Boden der Tatsachen gefallen.
Ich bin nicht willkommen. Ich gehöre nicht dazu. Und als klasse Projektionsfläche, diene ich dazu der Sündenbock zu sein, der die Familie zerstört hat. Die Wahrheit ist jedoch, dass die zwei das ganz alleine waren und es auf dem Wunschponyhof erst garnicht zu einer Trennung gekommen wäre. Ich sehe hier nur keine Ponys, also muss ich wohl am falschen Ort sein.